Das ambitionierte saudische Megaprojekt NEOM, das als futuristische Smart City an der Küste des Roten Meeres konzipiert wurde, steht im Jahr 2025 zunehmend im Fokus von Umweltbedenken und Bauverzögerungen. Als Vorzeigeprojekt der saudischen Reformstrategie Vision 2030 gedacht, sollte NEOM ein Symbol für Nachhaltigkeit, technologischen Fortschritt und urbane Innovation sein. Doch Experten, Umweltschützer und Investoren kritisieren mittlerweile eine wachsende Diskrepanz zwischen den hochgesteckten Zielen und der Realität vor Ort.
Umfang und Kosten des Projekts
Die saudische Regierung hatte ursprünglich angekündigt, rund 500 Milliarden US-Dollar (ca. 460 Milliarden Euro) in das Projekt zu investieren. NEOM umfasst mehrere Zonen: die lineare Stadt THE LINE, das Industriezentrum Oxagon, das alpine Tourismusgebiet Trojena sowie das Luxusinselprojekt Sindalah.
Kernversprechen sind Kohlenstoffneutralität, 100 % erneuerbare Energie und minimaler Eingriff in die Umwelt. Doch viele dieser Ziele werden inzwischen infrage gestellt – sowohl technisch als auch ökologisch.
Umweltbedenken
Besonders umstritten ist das Herzstück von NEOM: THE LINE, eine 170 km lange, 200 m breite und 500 m hohe Stadt, die bis zu 9 Millionen Menschen beherbergen soll. Geplant ist ein vollständig verkehrsfreies Konzept mit einem Hochgeschwindigkeitstransportsystem und vertikal gegliederten Lebensräumen, gespeist durch erneuerbare Energien.
Kritiker bemängeln unter anderem:
- Massive Eingriffe in empfindliche Ökosysteme wie Küstenzonen, Mangroven, Korallenriffe und die Wüstenlandschaft, die seltene Arten wie die Arabische Gazelle oder endemische Pflanzen beherbergen.
- Bergsprengungen im Trojena-Gebirge, wo ein Skigebiet samt Stausee entstehen soll.
- Hoher Ressourcenverbrauch durch Beton, Stahl und Glas, der die CO₂-Bilanz stark belastet.
- Mangelnde Transparenz bei Umweltverträglichkeitsprüfungen, trotz starker ESG-Vermarktung des Projekts.
Berechnungen zufolge würde allein der Bau von THE LINE über 2 Millionen Tonnen Beton und 1,5 Millionen Tonnen Stahl erfordern – was mehr als 10 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen verursachen könnte, falls keine klimaneutralen Baustoffe verwendet werden.
Verzögerungen im Zeitplan
Ursprünglich sollten bereits 2024 erste Bewohner in NEOM einziehen. Im Jahr 2025 ist jedoch erst ein kleiner Teil der Vorarbeiten abgeschlossen worden, während zentrale Bauprojekte weit hinter dem Zeitplan liegen.
Aktueller Stand:
- Für THE LINE wurden weniger als 2 km Fundamentarbeiten abgeschlossen. Vertikaler Bau hat noch nicht begonnen.
- In Oxagon existieren lediglich temporäre Lager und provisorische Infrastruktur.
- Trojena befindet sich noch in der Konzeptphase.
- Die Luxusinsel Sindalah, deren Eröffnung für Ende 2024 geplant war, wurde auf Mitte 2026 verschoben.
Bislang wurden rund 60 Milliarden Euro investiert – ein Großteil davon jedoch in Machbarkeitsstudien, PR-Kampagnen und internationale Konferenzen, nicht in den eigentlichen Bau.
Logistische Herausforderungen und fehlende Infrastruktur
NEOM liegt in der abgelegenen Provinz Tabuk, fernab bestehender Verkehrs- und Versorgungsnetze. Der Materialtransport allein stellt eine gewaltige Herausforderung dar.
Einige Kostenschätzungen:
- Bau eines Tiefseehafens und Logistikzentrums in Oxagon: 1,2 Milliarden Euro
- Bau von Entsalzungsanlagen und erneuerbaren Stromquellen: 4 bis 6 Milliarden Euro
- Hochgeschwindigkeitszug entlang THE LINE: über 15 Milliarden Euro
Hinzukommen Hitzewellen, Sandstürme und Wasserknappheit, die den Bau weiter verkomplizieren.
Kritik an Umsiedlungen und Menschenrechten
Neben ökologischen und technischen Fragen wird NEOM auch wegen Zwangsumsiedlungen von Beduinenstämmen kritisiert, die das Gebiet seit Jahrhunderten bewohnen. Menschenrechtsorganisationen berichten von Enteignungen ohne angemessene Entschädigung und ohne rechtlichen Beistand. Das schadet dem internationalen Ansehen des Projekts und schreckt ausländische Investoren ab.
Reduzierung des Projektumfangs
Angesichts wachsender Kritik haben saudische Behörden 2025 eine Anpassung der Zielvorgaben in Aussicht gestellt. So soll THE LINE bis 2030 nicht wie geplant 9 Millionen, sondern nur 1,5 Millionen Menschen aufnehmen, mit späterer Erweiterung je nach Bedarf.
Geplant ist auch, die Stadt in 10–20 km lange Module zu unterteilen, mit reduzierter Bauhöhe und vereinfachter Architektur. Dies würde ökologische Belastungen reduzieren, aber zugleich Investoren verunsichern, die auf das ursprüngliche Großformat gesetzt hatten.
Internationale Partner
Trotz der Herausforderungen ist NEOM weiterhin für ausländische Unternehmen interessant. Bisher beteiligen sich unter anderem:
- Bechtel (USA) – Infrastruktur-Management
- AECOM & LAVA (Deutschland) – Architektur und Stadtplanung
- ENOWA – Tochtergesellschaft von NEOM für Energie und Wasser
Einige europäische Nachhaltigkeitsberater haben sich jedoch aus dem Projekt zurückgezogen und auf die Kluft zwischen Versprechen und Umsetzung verwiesen.
Fazit
Das als Symbol der Zukunft geplante Projekt NEOM steckt aktuell in einer kritischen Phase. Umweltprobleme, Bauverzögerungen, infrastrukturelle Schwächen und soziale Konflikte gefährden nicht nur den Zeitplan, sondern auch die Glaubwürdigkeit des gesamten Konzepts.
Ohne eine belastbare Umweltprüfung und transparente Kommunikation droht NEOM, das Vertrauen von Investoren und der internationalen Gemeinschaft zu verlieren. Die ursprünglichen Ziele bis 2030 erscheinen in der aktuellen Lage kaum realisierbar.
Ein modularer, realistisch skalierter Ansatz könnte den Kurs jedoch stabilisieren – vorausgesetzt, die Führungskräfte des Projekts sind bereit, ihre Vision pragmatisch anzupassen. Dann könnte NEOM doch noch zu einem Vorbild für nachhaltige Innovation werden – anstatt zu einer Mahnung überambitionierter Städtebau-Utopien.